Navigazione Canale Grande (Architekturbiennale Sketchbook)

29. Juni 2014

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OBEN: Ein Vormittag in der Fondazione Querini Stampalia, mit Innenaussenarchitektur von Carlo Scarpa. “Da in Venedig die Strassen so eng sind, hat Scarpa wahrscheinlich nie ein ganzes Haus von aussen sehen können”, flüstert mir das Gespenst einer Architetkturkoryphäe, nennen wir sie  “Charles Jencks”, aus den Wänden zu, die hier in gleichen Anteilen verschalt, verputzt, vergoldet, freigelegt oder gar nicht vorhanden sind. Umso freier fühlte sich der schöpferische Scarpa wohl, Waschbeton mit Goldquadraten zu bestücken, Wasser durch Häuser fliessen zu lassen,und  sozusagen eine Reverse-Archeology der sukzessiven fragmentarischen Aufschichtungen und -schüttungen zu betreiben.

http://www.querinistampalia.org/eng/contemporary/architecture/carlo_scarpa/carlo_scarpa_gallery.php

UNTEN: Ornament Gun. “Ornament ist Verbrechen”, dachte Adolf Loos, bevor erstmals sein gestrenges Auge auf Venedig ruhen ließ, etwa so, wie ein Scharfschütze mit seinem durchratternden Maschinengewehr einen Schwerverbrecher ins Visier nimmt.

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Doch nach einer kurzen, intensiven Phase der extatischen Trunkenheit ob der befreienden Kraft des Ornaments, welche ihm auch half, seine rassistischen Ressentiments mit mediteranner Freizügigkeit zu übertünchen und sich mit Gott und der Antike zu versöhnen, erblickte Loos den CANALE GRANDE (Ausschnitt siehe unten). “Es bleibt dabei”, meinte er da, im Strudel der Gondeln, der Vaporettos und der kreuz und quer rudernden Rolex-Oligarchen, “Ornament ist Verbrechen. Yes. So it is.” Damals wusste er freilich noch nicht, das ihn Rem Koolhaas hundert Jahre später wieder zitieren, ausstellen und in der Hauptausstellung “Fundamentals of Architecture” ein klein wenig vorführen würde.

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“Ich brauche Rauschgift, sonst halte ich es hier nicht länger aus”, dachte er dann, und lernte sogleich das italienische Wort für Narcotics auszusprechen und anzuwenden.  Narco Polo, der Rauschgifthändler seines Vertrauens, wurde hinzugezogen. Er unterbrach kurz seine spätnächtlichen Tintenfischfangversuche am Landesteg des Vaporetto #3 vor dem Hilton Venezia und händigte dem Architekten aus, was dieser dekadente Purist des Fin-de-Siecles am allermeisten begehrte: Nero di Sepia, reine schwarze Tintenfischtinte. Das unorthodoxe Opiat, erklärte Narco Polo Loos, führe auch zu einer veränderten Farbwahrnehmung, wonach etwa ein Teller Spaghetti nicht mehr gelblich weiß, sondern schwarz in schwarz erscheinen würde. “Ist OK”, meinte Loos, und bekam dafür die nickende Zustimmung seines Weggefährten an diesem Abends, Rudolf Steiner, den er an der Moet-Schenke auf der Hilton Skybar aufgelesen hatte, und der nun mit ihm an der Vaporetto Station wartete. Steiner jedoch war weniger an der Persönlichkeit und den radikalen Ansätzen des Wiener Architekten interessiert, als an der Möglichkeit, diesem in einem künstlich verlängerten Moment seiner Nacht-, Schlaf- und Architekturtrunkenheit den Biennale General-Pass abzuknöpfen, und sich somit €28 zusätzlichen Eintritt fürs Arsenale zu ersparen. “Weiß reflektiert alle Farben, Schwarz absorbiert alle Farben, aber zu dieser fortgeschrittenen Uhrzeit ist’s auch herzlich einerlei – pronto, Adolf, einsteigen!”

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“Mi Scusi”, meinte Loos, bevor er benommen mit dem Kopf gegen einen fein verzierten Holzpfosten des 16ten Jahrhunderts stieß, und seine Wahrnehmung in einem blutroten Aperolmeer in einer glänzend schwarz lackierten Gondel in Richtung des im übrigen vortrefflich gestalteten südkoreanischen Pavillions davonschwimmen sah, “aber du könntest auch mal g’scheit Italienisch lernen, wennst schon nach Venedig fährst! Und anstatt mir meinen Pass abzuluchsen, gehst einfach zum russischen Pavillion in die Büsche und hüpfst umsonst über den Zaun – der ist völlig unnötig, pervers verziert, und sollte eh gar nicht dort stehen! Capito? Capito!”