Hühnercompliancemanagement

13. November 2017

 

Wir reden hier vom Horizont, auf dem noch nie ein Huhn gelandet ist.

Ein Horizont, so Bruno Latour, der nichts ist als eine vage Utopie, eine Utopie, die keinen Boden unter den Füßen findet, keine Erde, Erdung oder Grundlage, ein utopischer Horizont, der nichts ist, als ein Regulierungsinstrument, ein Autopilot für Blind und Nachtflüge, hoch über der Erde, die nichts verkörpert, die nur noch abstrakter Himmelskörper ist.

Wir reden hier von Körperlosigkeit.

Wir spüren die Bewegung, früher spürten wir sie, wie Hühner, unter unseren nackten Klauen das betaute Gras, die Halme wie Federn, die Wiese ein Flügel aus federnden Halmen gewachsen.

Dan werden wir an unseren Beinen der Schwerkraft enthoben, hinaufgehoben, der Hühnerwiese unter uns entzogen, das Gras nur noch grüne Fläche, Farbwert RAL 6024, die Welt dreht sich, sie dreht und dreht sich, ein rasendes Grün, das wir in Angst und Schweiss davonspinnen sehen.

An den Beinen hängend, das Blut sinkt ab in unser Hirn, sinkt ab, durchtränkt das Bewusstsein, das Bewusstsein von Daten durchtränkt, der Blick konfus nach dem Henker suchend, nach scharfen Jägeraugen, die in aller Ruhe ihr Ziel anpeilen.

Wir zappeln wie Säuglinge in einer Welt, die keine mehr ist, unsere Gedanken längst substanzlos, sind, die letzten anhaltspunkte, sind, Berührungspunkte abgetropft, sind, wie Schweissperlen, Ausdampfungen, unser Körper haben sich verflüchtigt, und was zurückbleibt ist ein schwarzes Loch, in das unser Kopf hineingesogen wird, auf einem Holzpflock dumpf zu liegen kommt, unser Kopf schlägt auf, der Nacken erschlafft//

Flügelzittern, zappeln, zappeln, wie Säuglinge zappelnd, da legen sich schon zwei Hände schützend um uns. Fürsorgliche Hände, weiche, weibliche Hände halten uns mit mütterlicher Selbstverständlichkeit fürs Beil bereit, es kommt, das Beil, es kommt mit allergrößter Präzision, trennt uns voneinander, trennt uns klinsisch auf in Körper und Geist, Köper und Kopf getrennt, der Kopf um einen Körper erleichtert, den er noch sekundenlang davonlaufen sieht, über das betaute Gras, dem Horizont entgegen, dann sind unsere Hühneraugen ergraut.

Der Hühnerkopf hat seinen Frieden gefunden, ausserhalb der Welt, im Traumbett der Daten aufgebahrt, nur der Körper muss seinen Weg noch zuende laufen, der Körper agiert autonom, aufgescheucht, die Nervenbahnen im freien Feuer, ein autonomes Netzwerk, Hühnernetzwerk, Algorithmen und Attraktoren, bewegen Flügel, bewegen Beine, steuern den Körper, der Körper willenlos, er ist den Willen los, der Körper ist jetzt ein Selbstfahrer, Selbstläufer, ein willenlos, zuckendes, taumelndes Vehikel am Horizont.

Hühnersuppe. Hühnerbraten. Federn rupfen. Der Körper ist zur weiteren Verwendung freigegeben, der Körper ist frei, kostenlos, kopflos, das Kopfgeld entrichtet, der Kopf ist körperlos, der Kopf ist seinen Körper los.

Und wenn die Körper laufen, bleibt das Bewusstsein zurück.

Sind die Körper nur Verwendung, dann ist Bewusstsein pure Verschwendung.

Wenn die Körper autonom am Horizont laufen, bleibt das Bewusstsein zurück

Bewusstsein bleibt zurück.
Bewusstsein fällt zurück.

Ja, der Körper, Hühnerkörper, fliegt auch ohne uns.
Unser Bewusstsein verblasst.
Bewusstsein verkopft.
Unser Bewusstsein bleibt zurück.

(Text: Fabian Faltin/Andy Simanowitz)