Proaktive Selbstsabotage

23. Februar 2022

Aus einem Interview mit skug Magazine.
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Deine Claim-artige Selbstbeschreibung lautet: »Theoretisch konsequent. Energische Praxis. Professionell unberechenbar.« Welche Bedeutung hat das imagetanz-Festival für dich als Performer?

Vorletztes Jahr gab es beim imagetanz-Festival eine Performance, die mich bis heute beschäftigt: »Panflutes and Paperwork« von Ingrid Berger Myhre and Lasse Passage. Ein minimalistisches Stück, mit lauter absurden Herausforderungen: Zungenbrecher sprechen, komplexe Patterns klopfen, absurde Choreografien tanzen. Das war für mich eine wegweisende Arbeit, die mir Mut gemacht hat, an das zu glauben, worum es mir – bei aller Ernsthaftigkeit – im Leben vor allem geht: Humor, Verspieltheit und proaktive Selbstsabotage.

Was reizt dich an Performance-Kunst im Allgemeinen?

In letzter Zeit kam es öfters vor, dass ich direkt nach den Proben im brut für das Stück »House of Hyperculture« mit Kleinkindern im Zoo und am Spielplatz unterwegs war und dann auch einen Schlaganfallpatienten besuchte. Ich fand es frappierend, wie sehr wir uns im Studio damit beschäftigen, künstlich jene Irritationen zu erzeugen, die im Kindergarten und in der häuslichen Pflege einfach Normalität sind: Stottern, surreale Gespräche, Krabbeln, Rasseln, emotionale Ausbrüche, Schweigen. Während es im Theater um Rollenspiel geht, widmet sich die Performance-Kunst der Präsenz als solcher. Mittlerweile reizt mich vor allem diese Ehrlichkeit und Nacktheit.

Wie ist dir ursprünglich die Idee zu »House of Hyperculture« gekommen?

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie wir in den letzten zwanzig Jahren von den Subkulturen der 1990er-Jahre zu der digitalen Hyperkultur der Gegenwart gekommen sind. Als Teenager in den 1990ern waren ich und meine Freunde stets auf der Suche nach subkultureller Andersartigkeit und Zugehörigkeit in einer Community – das konnte Mountainbiken sein, Techno-Partys, Kunst oder Literatur. Höchst inspirierende Erfahrungen, von denen wir bis heute zehren. Inzwischen läuft dieses Spiel aber auf einer obsessiv gesteigerten Frequenz, in einem halbvirtuellen Raum, wo Kultur, Konsum und Produktion immer enger und komplexer vernetzt sind. Allein in der letzten Woche habe ich in Wien Kimchi gegessen und Giraffenfleisch verkostet, ich war in der Savoy Bar und einem Montessori Kindergarten, habe traditionelle finnische Hirtenrufe und Aphex Twin gehört. Ich habe eine queere Performance gesehen, eine kritische Dokumentation über Aluminium in Impfstoffen, und bin medizinisch bestens versorgt mit mRNA und einer neuen Ultraschall-Zahnbürste. Bizarrerweise war das alles zugleich auch Arbeit. Im Urlaub geht es genauso weiter. Meine diversen Freund*innen reisen nach Namibia, nach Sizilien oder zum Neusiedlersee. Wir lesen Sherlock Holmes, Selbstmanagementbücher und natürlich skug. Anything goes, solange es zur eigenen Identität passt und dich als weltoffenen, ambitionierten, subtilen und originellen Menschen profiliert. Aller Diversität zum Trotz kommt es heute mehr denn je auf den feinen Unterschied an.

Und wie bist du nun auf dieses Hyperkultur-Haus als Performance-Setting gekommen?

Ich erfuhr von den sogenannten Collab Houses, wo sich Tiktoker*innen und Influencer*innen in Villen einmieten und ein fiktives, von A bis Z kuratiertes Luxusleben führen – etwa wie im House of Hype in Los Angeles. Ich dachte, wir könnten nach diesem Vorbild in Wien ein House of Hyperculture gründen, wo unser globaler, hyperkultureller Lifestyle an einem einzigen Ort ausgelebt wird. Ein Ort, wo Hyperkultur greifbar und erzählbar wird. Zugleich ein Nicht-Ort, der an den Grenzen von Zeit, Raum und sozialer Klasse kratzt. Ein weltoffener, aber zugleich auch sehr enger Raum.

Das globale Dorf mit seinen inhaltlichen Leerständen zieht zur Nachverdichtung in eine kulturell generalsanierte Autofiktionen-Architektur …

Unlängst diagnostizierte eine Künstlerin bei mir den »Soziologievirus«. Wenn man beginnt, über Klasse nachzudenken, verliere man ja jede Freude an der Kunst. Und niemand kann über seinen eigenen Schatten springen. Aber stimmt das wirklich? Zumindest steckt in all dem sehr viel performatives, humoristisches und satirisches Potenzial; für mich persönlich die beste Art, Grenzen zu durchbrechen. Als Performance gedacht, könnten wir uns in einem solchen fiktiven Haus auch mal selbst in den Spiegel schauen. Bekannterweise gibt es seit Längerem eine intensive Auseinandersetzung mit Themen wie Identität, Gender und Rassismus. Mit unseren unterschiedlichen Positionen in diesen Debatten performen wir aber auch Klassenzugehörigkeit und kulturelle Distinktion. In der Hyperkultur der gebildeten Mittel- und Oberschichten ist Klasse eindeutig der »elephant in the room«. Durch Bildung, Konsum, Partnerwahl, Körperpflege, Geschmack und »Gefühl« grenzen wir uns ständig voneinander ab. Selbst wenn man ökonomisch sehr prekär lebt, was in der Kunstszene ja oft der Fall ist, kann man trotzdem Millionär*in sein. Man ist eben Millionär*in des kulturellen Kapitals.